Nicht zufällig fiel der Amtsantritt von Ernst von Seydlitz in das Jahr 1819. Knapp ein Jahr zuvor hatte der preußische Staat sein Oberaufsichtsrecht in Schulsachen auch in Gnadenfrei geltend gemacht und die erste Inspektion der Schulen mit zufriedenstellendem Ergebnis abgeschlossen. Die Aufgabe von v. Seydlitz war es nun, den guten Ruf der Anstalten bei den Schulbehörden und den Eltern der Pensionsschüler aus Aristokratie und gehobenem Bürgertum zu wahren und ihre Attraktivität möglichst zu steigern. Es galt also Schritt zu halten mit den pädagogischen Strömungen der Zeit und den Anforderungen des gesellschaftlichen Lebens. Die religiöse Erziehung allein war kein Aushängeschild. Die dafür notwendige Reorganisation der Schulanstalten ging Seydlitz im Rückblick "nicht als Mietling, sondern mit wahrer Herzensangelegenheit" an: Er entwarf eine neue Schulordnung und Lehrpläne, kümmerte sich um die Gesundheit der Zöglinge und um bessere Räumlichkeiten, besonders für die wachsende Zahl der Mädchen. Auch achtete er auf "richtiges und artiges Benehmen" vor allem der Jungen.
Für eine Verbesserung des Unterrichts setzte v. Seydlitz zudem bei den Lehrern an: Um ihr "frühes Ermüden im Schuldienst" zu vermeiden, forderte er für seine Kollegen regelmäßige Gehaltszulagen und eine "jährliche Erholungsreise von mehreren Wochen". Den Lehrerinnen riet er, da seiner Erfahrung nach oftmals von schwacher Konstitution, dringend von "Kartenlegen, Stubenhocken und erschlaffenden Getränken" ab und setzte sich für ihre geregelte Ausbildung in Lehrerinnenseminaren ein. Schließlich waren neue Schulbücher und Lernmittel zu erproben und einzuführen.
Erlebbare Geographie
Das Geographieschulbuch nahm v. Seydlitz persönlich in Angriff. Er hatte bei den Herrnhutern eine Ausbildung durchlaufen, in der Geographie und praktische Weltkenntnis traditionelle Bestandteile waren. Schon 1785 erschien das erste eigene Schulbuch der Geographie für die Brüdergemeinen. Begegnungen mit heimgekehrten Missionaren, der gemeinsame Schulbesuch mit Gemeinekindern aus Afrika, Westindien oder Surinam, das Vorlesen von Missionsberichten, auch "weltlicher" Reisebeschreibungen wie die von James Cook, und nicht zuletzt Mitbringsel ethnographischer Art dürften dem jungen v. Seydlitz die entscheidenden Impulse gegeben haben. Dass er auch einen Blick für Landschaften hatte, dafür zeugen etliche Aquarellskizzen, die auf seinen späteren Reisen durch Deutschland entstanden. Diese Erfahrungen mit einer lebendigen Geographie ließ v. Seydlitz auch in die Unterrichtspraxis einfließen. In Anlehnung an die Philantropen machte er mit seinen Schülern Ausflüge in die Umgebung, um Geographie ganz konkret werden zu lassen. Mit solchen Neuerungen machte sich der Schuldirektor bei seinen Unitätsoberen aber nicht gerade beliebt. In diesem Fall traf ihn der Vorwurf der "horriblen Unmäßigkeit in parties de plaisir". Im Fall seines "Leitfadens" befand ein Herrnhuter Gutachter den "Ton" als "allzu ungeniert, wie er wohl für einen mündlichen, aber nicht für einen schriftlichen Vortrag passen möchte."
Ernst von Seydlitz, 1801
Quelle: Unitätsarchiv Herrnhut
Quelle: Unitätsarchiv Herrnhut
Quelle: Unitätsarchiv Herrnhut
Quelle: Unitätsarchiv Herrnhut