Interview zu der generalistischen Pflegeausbildung
Herr Thomas Kratz ist seit über zwanzig Jahren in der Pflege- und Gesundheitsbildung und seit ca. zehn Jahren in der Lehrerausbildung am staatlichen Studienseminar und an der Universität (PTHV) in Vallendar tätig. Dort werden durch moderne pädagogische Ansätze die Lernenden mit ihrer Lebens- und Berufswelt in den Mittelpunkt gestellt.
Herr Kratz, die Jahreshälfte 2019 ist bereits erreicht und in gut einem Jahr starten die ersten generalistischen Ausbildungen zum Pflegefachmann/ zur Pflegefachfrau. Wie ist Ihr Eindruck, wie sind die Schulen hierauf vorbereitet?
Die Ausbildungsschulen beschäftigen sich seit längerem teilweise sehr intensiv mit der Umstrukturierung. Dennoch bleiben noch viele Fragen offen. In einigen Bundesländern erlebe ich eine sehr gute Begleitung durch die Hochschulen. In Rheinland-Pfalz entstehen zurzeit Strukturen und Unterstützungssysteme. Aufgrund des neuen Gesetzes werden neue Kooperationen entstehen oder sind bereits entstanden. Auf jeden Fall ist jede Menge Bewegung auf der Organisationsebene zu beobachten. Wichtig wäre eine zukunftsweisende Veränderung der Ausbildung und damit eine Stärkung der Profession. Dazu ist unter anderem der Rahmenlehrplan notwendig, der in diesem Jahr im Sommer von Berlin kommen soll und sicherlich von allen Bundesländern erwartet wird.
Wie ist denn der aktuelle Stand an Ihrer Schule? Was wird sich an Ihrer Schule durch die Generalistik verändern?
Wir sind eine öffentliche berufsbildende Schule und bieten zurzeit ausschließlich die Bildungsgänge Altenpflege und Altenpflegehilfe an. Mit der generalistischen Ausbildung werden wir eine starke Veränderung spüren. Zum einen werden wir stärker in Konkurrenz zu den privaten Anbietern treten, was zu einer Veränderung der Kooperationspartner führen wird. Denn die großen Krankenhaus- und Pflegeeinrichtungen werden ihre Auszubildenden in den eigenen Bildungszentren ausbilden. Zum anderen werden Settings hinzukommen, in denen Unterrichtserfahrungen bisher ausschließlich in Vollzeitklassen, wie beispielsweise in der höheren Berufsfachschule in der Säuglingspflege, gesammelt werden konnten. (In den Vollzeitklassen, wie beispielsweise der höheren Berufsfachschule, können Schülerinnen und Schüler einen höherwertigen Schulabschluss mit einem beruflichen Schwerpunkt erreichen.) Insgesamt spüre ich in Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen eine gewisse Unsicherheit, die sich aber mit den ersten Erfahrungen ab dem nächsten Jahr legen wird.
Und gehen Sie im Hinblick auf die Schülerinnen und Schüler, die die Ausbildung zum Pflegefachmann und zur Pflegefachfrau antreten, davon aus, dass sich die Schülerklientel verändern wird?
Diese Frage löst berufspolitisch die größte Veränderung aus. Denn im Vergleich zu den Gesundheits- und Krankenpflegeausbildungsklassen sitzen in den Altenpflegeklassen andere Schülerinnen und Schüler. Die Altenpflegeschülerinnen und -schüler kommen mit sehr unterschiedlichen Sozialisationen und Bildungsabschlüssen zu uns. Sie verstehen ihre berufliche Rolle auch eher als Begleiterin/Begleiter von älteren Menschen. Wenn sich die Ausbildungsanforderungen verändern, dann werden noch mehr Auszubildende in der Altenpflege ihr Examen nicht erreichen. Als Alternative gibt es die Pflegehilfeausbildung. Hier gilt es abzuwarten und situativ zu reagieren. Aber auch das Rollenverständnis wird sich ändern. Dominant im Krankenhaus ist das Funktionieren von medizinischen Handlungsabläufen, in denen die Pflege einen wichtigen Beitrag leistet. Dennoch wird in Krankenhäusern Geld mit Diagnostik und Therapie verdient, wodurch sich Handlungsabläufe ergeben und die Fachsprache bestimmt wird. Wenn zukünftig Auszubildende in Klassen sitzen, in denen vornehmlich für die Krankenhäuser ausgebildet wird, dann ist dies mit einem anderen Rollenverständnis verbunden als für Einrichtungen der Altenpflege benötigt wird. Diese Diskussion wird aus meiner Sicht zu wenig geführt. Wegfallen wird die integrierte Ausbildungsform. Das heißt, bisher konnten in der Altenpflegeausbildung Auszubildende mit einem Hauptschulabschluss von Anfang an an der Altenpflegeausbildung teilnehmen. Nach einem Jahr mussten sie zwar die Altenpflegeprüfung erfolgreich absolvieren, aber damit erhielten sie die Berechtigung an der weiteren Ausbildung zur Altenpflege teilzunehmen. Damit schlossen sie mit den anderen Auszubildenden nach drei Jahren mit dem Examen ab. Durch die Veränderung wird sich die Ausbildungszeit erheblich verlängern. Eine Diskussion, wie beispielsweise ein Testverfahren, die die Zulassung für eine integrierte Ausbildung regelt, gibt es nicht, was die Lebensleistung einiger Auszubildender nicht berücksichtigt.
Nun haben Sie einige Aspekte benannt, die Probleme mit sich bringen. Welche Chancen sehen Sie in der Generalistik?
Die Generalistik ist notwendig, damit Pflege auf zukünftige praktische Anforderungen vorbereitet werden kann. Denn der demographische Wandel und der Wandel im Gesundheitssystem sorgen dafür, dass mehr ältere Personen schneller zwischen den einzelnen Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen wechseln.
Als Chance ist dementsprechend ein gemeinsames Verständnis über die eigene Profession zu nennen. Vor allem aber kann ein Verständnis für die unterschiedlichen Settings mit seinen spezifischen Anforderungen entwickelt werden. Als weitere wichtige Chance ist die grundständige akademische Pflegeausbildung zu nennen. Es ist zurzeit nur eine Chance, denn die Strukturen in den Krankenhäusern sind noch nicht geschaffen. Dazu zählt, neben der Frage der Bezahlung, die Klärung der Befugnisse. Gerade zum zweiten Punkt werden gesetzliche Rahmenbedingungen notwendig. Eine weitere Chance ist die settingübergreifende Entwicklung professioneller Kompetenzen. Aus der Perspektive ergeben sich für die Auszubildenden neue berufliche Chancen. Sie können z.B. flexibler ihren Arbeitsplatz wechseln. Dies gilt im Besonderen für die bisherigen Auszubildenden der Altenpflege. So kann jede/r Auszubildende zunächst Erfahrung in verschiedenen Settings sammeln und sich nach der Ausbildung für einen bestimmten Arbeitsbereich entscheiden. Das Setting für die Auszubildenden der Altenpflege ist zurzeit während und nach der Ausbildung vorgegeben. Aus der Sicht der Qualitätssicherung bietet die settingübergreifende Ausbildung ebenfalls Chancen. Denn wenn ein theoretisch begründetes Verständnis für bestimmte pflegerische Phänomene besteht, können pflegerische Interventionen rechtzeitig eingeleitet werden. Insofern ist ein erweitertes Verständnis der verschiedenen Handlungsoptionen nicht nur zu begrüßen, sondern notwendig.
Die Qualität ist ein gutes Stichwort für die nächste Thematik. Schauen wir uns konkret den Unterricht an, abgesehen von den Inhalten, die zukünftig alle drei Ausbildungsberufe abdecken müssen. Worauf müssen sich die Lehrkräfte Ihrer Meinung nach einstellen? Wird sich ihre Rolle durch die Generalistik verändern?
Ja, bedingt durch die vielen unterschiedlichen kleineren Einsätzen wird die Anwendung von Handlungswissen viel bedeutsamer werden. Auch die Frage nach grundsätzlichen pflegerischen Kompetenzen wird vermehrt diskutiert werden können, damit diese unabhängig vom Setting in der Praxis Einsatz finden. Unmittelbar damit verbunden ist aus meiner Sicht das Fallverstehen. Ebenso wird es notwendig, die disziplinübergreifende Kommunikationskompetenz zu stärken. Als Ziel sollte bei allen Unterrichtsangeboten die Entscheidungskompetenz im Mittelpunkt stehen. Können die Auszubildenden ihre getroffenen Entscheidungen durch den Unterricht fachtheoretisch und situationsbezogen gegenüber anderen begründen? Dies könnte eine zukünftige Leitfrage für didaktische Entscheidungen darstellen. Neue didaktische Entscheidungen werden mit der Fallorientierung in allen weiteren Bereichen notwendig, bis hin zur Leistungserfassung und Leistungsmessung. Auch hier werden viele Gespräche nötig.
Sie sind Herausgeber der Themenheftreihe "Kompetente Pflege". Inwieweit gehen Ihre Themenhefte auf die Schülerklientel der generalistischen Ausbildung ein? Und welchen konkreten Mehrwert habe ich als Lehrkraft von diesen?
Die Themenhefte berücksichtigen bereits jetzt schon die generalistische Ausbildung. Wir bemerken aber auch die Schwierigkeiten, die damit verbunden sind. Wenn beispielsweise das Themenheft in einer aktuellen Altenpflegeklasse verwendet wird und die angebotene Lernsituation aus der Kinderkrankenpflege oder eine Situation aus dem Krankenhaus beschreibt, so ist dies nicht in dem Maße für die Auszubildenden anschlussfähig. Durch die zukünftig veränderte Ausbildungsstruktur wird sich diese Schwierigkeit erledigen.
Zu guter Letzt würde unsere Leserinnen und Leser sicherlich interessieren, was Ihnen für die Zukunft wichtig ist. Wenn Sie sich für die generalistische Ausbildung drei Dinge wünschen könnten, was wären diese?
Wichtig wäre, den Habitusgedanken zu stärken. Die Stärke der Altenpflegeschülerinnen und -schüler besteht darin, empathisch Beziehungen zu gestalten und somit eine person-zentrierte Pflege zu ermöglichen. Sie sind es, die täglich und zum Teil über einen langen Zeitraum einen Menschen in seinem letzten Lebensabschnitt begleiten. Es entsteht eine Beziehung, in der Kraft und Verständnis notwendig ist, aber auch Belastungen in der Beziehungsgestaltung ausgehalten werden müssen. Die Kommission, die den Rahmenlehrplan erstellt, besteht hauptsächlich aus Fachkräften der Akutpflege. Wahrscheinlich wird sich dies im Rahmenlehrplan widerspiegeln. Umso notwendiger ist es in der Ausbildung, aber auch auf der akademischen Ebene, über die settingspezifischen Anforderungen und Habitusentwicklungen zu sprechen. Die Chance der spezifischen Arbeitsweise bietet auf jeden Fall für jede Person mit den jeweiligen persönlichen Vorlieben einen interessanten Arbeitsplatz.
Aus persönlichen Erfahrungen wünsche ich mir zudem eine systematische Einbindung der akademisch ausgebildeten Fachkräfte, beispielsweise als verantwortliche Begleitung eines Behandlungspfades im Krankenhaus. In Altenpflegeheimen könnte eine akademische Fachkraft als Beratung der Fachkräfte auf den Wohnbereichen eingesetzt werden, sodass aufkommende Fragestellungen erfasst und Lösungen gesucht werden können.
Als dritten Wunsch ergibt sich daraus eine finanzielle Sicherung der akademischen Fachkräfte. Es darf nicht dazu kommen, dass eine besser bezahlte Fachkraft dadurch aufgefangen wird, dass weniger andere Fachkräfte oder Personen mit anderen Qualifikationen eingestellt werden.
Ich habe noch einen vierten Wunsch. Es werden in Deutschland Pflegekräfte benötigt. Und es gibt viele Menschen, die vielleicht geeignet wären, aber zum Ausbildungsbeginn nicht die notwendigen Qualifikationen mitbringen. Die finanzielle Sicherung sinnvoller Strukturen, wie diese interessierten Personen in das Pflegesystem integriert werden können, ist unbedingt notwendig. Eine Stärkung des Helferberufes könnte einen Baustein in diesem Kontext darstellen. Die Förderung des Sprach-, Lese- und Hörverständnisses stellt aus meiner Sicht einen weiteren notwendigen Baustein dar. Bei Personen mit einem Flüchtlingshintergrund können weitere kulturelle Bausteine notwendig werden. Hilfreich wäre in diesem Zusammenhang eine wissenschaftlich begleitete Analyse des Bedarfes.
Container für einen statisch gerenderten Navigationsbaum
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