Kinder aus geflüchteten Familien in der Kita – eine Herausforderung für pädagogische Fachkräfte

In vielen Kitas sind Kinder, die aus ihrer Heimat aufgrund innenpolitischer Konflikte und Krieg fliehen mussten. Die Kinder haben sowohl in ihrem Herkunftsland als auch auf der Flucht meist schreckliche, lebensbedrohliche Situationen erlebt, begleitet von Angst und Unsicherheit. Nun sind sie im sicheren Deutschland, was für die Kinder, die Verwandte, Freunde und Freundinnen, ihr Haus, Spielzeug, Sprache und ihre vertraute Kultur in ihrer Heimat zurücklassen mussten, auch fremd und verunsichernd ist. Sie nehmen die Sorgen der Eltern wahr und die Unsicherheit, nicht zu wissen, wie lange sie bleiben dürfen. Es liegt auf der Hand, dass diese Schutz suchenden Kinder mit ihren Vorbelastungen und gegenwärtigen Belastungen einen anderen Start in die Kita haben.
Durch die Erlebnisse im Heimatland und auf der Flucht zeigen die Kinder ein entsprechendes Verhalten

Geflüchtete Kinder kommen mit Voraussetzungen in die Kita, welche für die pädagogischen Fachkräfte unbekannt sind. Aufgrund der Vorerfahrungen zeigen die Kinder oft spezielle Verhaltensweisen. Diese gilt es einzuordnen und sie zu verstehen. Beispielsweise isst ein Kind hastig oder steckt Lebensmittel in die Tasche, weil es Angst hat, dass es zu wenig bekommen könnte.  Viele geflüchtete Kinder leiden unter ihren traumatischen Erfahrungen. Zu den Symptomen der sogenannten posttraumatischen Belastungsstörungen zählen beispielsweise das Anklammern an eine Bezugsperson, Angst im Dunkeln, Depression, Erschöpfung, Hyperaktivität, körperliche Beschwerden, panische Reaktion auf laute Geräusche oder nicht angemessenes Sozialverhalten. Oft ist ein direkter Bezug zwischen Trauma und Symptom nicht deutlich. Manche Kinder spielen die erlebten Situationen nach oder malen entsprechende Bilder. Da die Eltern der Kinder ebenso traumatisiert sind und gerade in Deutschland angekommen, sehr mit ihrer neuen Situation und sich beschäftigt sind, werden sie nicht ausreichend in der Lage sein können, ihren Kindern adäquat bei der Verarbeitung ihrer Erlebnisse zur Seite zu stehen. Pädagogische Fachkräfte können traumatisierten Kindern eine positive, verlässliche und feinfühlige Beziehung geben. Fühlen sich die Kinder in der Kita sicher und geborgen, haben sie die Chance, zur Ruhe zu kommen. Der strukturierte und ritualisierte Tagesablauf der Kita gibt den Kindern das Gefühl von Verlässlichkeit und Orientierung (Vgl. Soyer 2016). Des Weiteren sollten pädagogische Fachkräfte den Kindern Erfahrungen von Selbstwirksamkeit und Handlungsfähigkeit arrangieren. Die Kinder haben die Erfahrungen gemacht, dass sie Situationen und Menschen ausgeliefert sind und sie selber nichts bewirken können. Durch die Übertragung angemessener Aufgaben, die das Kind keinesfalls überfordern dürfen, haben sie die Chance, ihre Handlungsfähigkeit wahrnehmen zu können. Durch die Vielfältigkeit der Symptomatik einer posttraumatischen Belastungsstörung sollte diese lediglich von dafür ausgebildeten, therapeutischen Fachkräften diagnostiziert und behandelt werden. Pädagogische Fachkräfte der Kita sollten bei auftretenden Symptomen schnell entsprechende Stellen informieren, damit dem traumatisierten Kind rasch geholfen werden kann.
Die Eingewöhnung des Kindes individuell gestalten

Die Fachkräfte sollten die Räume der Kita so gestalten, dass sich das Kind und auch seine Eltern willkommen fühlen. So können beispielsweise Bilderbücher oder Dekorationsgegenstände aus dem Herkunftsland der Familie sichtbar platziert werden und im Eingangsbereich der Kita eine Grußformel u.a. auch in ihrer Sprache stehen. Die Eingewöhnung eines geflüchteten Kindes sollte absolut individuell gehandhabt werden. Nicht nur die Vorbelastungen spielen dabei eine Rolle, sondern auch der kulturelle Hintergrund des jeweiligen Kindes. So bestehen aufgrund der engen Bindung auf der Flucht und in den großen Massenunterkünften möglicherweise extreme Trennungsängste bei einem Kind und seinen Eltern, die bei der Eingewöhnung berücksichtigt werden müssen und wodurch die Eingewöhnungszeit ggf. verlängert werden sollte. Es ist auch denkbar, dass das Kind aus einer Kultur kommt, in der die Kinder sich an Geschwistern oder Nachbarskindern orientieren und die Erwachsenen eine andere Bedeutung haben. Auch in der Kita wird sich ein Kind, welches so aufgewachsen ist, an andere Kinder wenden und weniger an die pädagogische Fachkraft. Hier könnte ein „Patenmodell“ in der Eingewöhnungsphase hilfreich sein. Dem Kind werden zwei Kinder aus der Gruppe an die Seite gestellt, die sich um das Kind kümmern und für es da sind. Selbstverständlich müssen die Paten diese Aufgabe freiwillig übernehmen.

Eine große Herausforderung bei der Eingewöhnung – und auch danach – ist die unzureichende sprachliche Verständigung. Das Kind spricht kein oder nur sehr wenig Deutsch. Um sich zu verständigen, können neben der Körpersprache und Gesten auch Bildkarten genutzt werden. Diese gibt es zu kaufen. Möglich ist aber auch, selbst welche herzustellen, auf denen die wichtigsten Begriffe abgebildet sind, wie etwa Teller, Becher, Jacke, ein trauriges Gesicht, ein fröhliches Gesicht, Spielzeug, Toilette, etc. Dolmetscher-Apps können der pädagogischen Fachkraft im Notfall auch weiterhelfen. Sinnvoll ist es, wenn die pädagogische Fachkraft einzelne Wörter oder Sätze in der Heimatsprache des Kindes erlernt. Das Kind fühlt sich so in seiner Herkunft und Person gesehen und respektiert. Auch für die deutschen Kinder ist ein kleiner „Sprachkurs“ interessant. Es kann für das geflüchtete Kind sehr schön sein, wenn beispielsweise ein Lied aus seinem Heimatland in den Morgenkreis integriert – oder ein entsprechendes Lied von einer CD angehört – wird.
Die deutsche Sprache vermitteln

Generell sollte die Sprachförderung für das Kind im gesamten pädagogischen Alltag eingebaut werden. So wie bei allen anderen Kindern auch, die noch nicht gut deutsch sprechen, sollten Alltagssituationen kommunikativ gestaltet sein. Sprache wird durch Interaktion und den tatsächlichen, sinnvollen Gebrauch gelernt. Die pädagogische Fachkraft fordert das Kind zum Sprechen auf. Es finden dialogische Bilderbuchbetrachtungen statt. Fehler sollten stets so korrigiert werden, indem die Fachkraft das falsch gesprochene Wort oder den Satz korrekt wiederholt. Handlungen werden stets sprachlich begleitet. So kann das Kind die Worte mit den Alltagshandlungen in Verbindung bringen. Die Fachkraft führt Fingerspiele, einfache Verse oder Singkreisspiele durch und singt Lieder mit den Kindern. Diese Art der Sprachförderung ist jeder pädagogischen Fachkraft geläufig. So ist auch die Vorgehensweise, wenn ein deutsches Kind mit dem Sprechen beginnt.
Kindliche Verhaltensweisen durch die „kulturelle Brille“ betrachten

Die Verhaltensweisen und Äußerungen des Kindes sollten kultursensibel betrachtet werden. Pädagogische Fachkräfte sollten sich eine „kulturelle Brille“ aufsetzen und die Lebenswelt und die Äußerungen des Kindes durch die Brille seiner Kultur betrachten. So kann ein Verständnis für bestimmte Verhaltensweisen des Kindes (und auch der Eltern) aufkommen. Eine Interpretation durch die „deutsche Kulturbrille“ wird dem Kind und seiner Familie nicht gerecht und bringt Missverständnisse mit sich. Zu dem Blick durch die Kulturbrille kommt auch noch die Verhaltensinterpretation aufgrund der Vergangenheit des Kindes, welches lange in Krieg oder politischer Instabilität leben musste.

Für geflüchtete Kinder können die Erziehungsstile und Werte in der Kita manchmal verwirrend sein. Während die Kinder zum Beispiel zu Hause so erzogen werden, dass Gehorsam gegenüber Erwachsenen einen sehr hohen Stellenwert haben, so werden in einer deutschen Kita die Kinder dahingehend gefördert, dass sie eine eigene Meinung entwickeln und diese auch äußern können. Den Kindern wird partnerschaftlich begegnet und Partizipation als Kinderrecht wird in den Kitas umgesetzt.
Erziehungs- und Bildungspartnerschaften mit den Eltern gestalten

In den Herkunftsländern vieler geflüchteter Familien gibt es keine Kitas. Die Eltern müssen also zunächst darüber aufgeklärt werden, was ein Kindergarten ist und was ihr Kind und auch sie selber erwartet. Die Eltern sollten den Erziehungs- und Bildungsauftrag des Kindergartens kennen und wissen, dass er keine Art von Schule ist. Bei einem gemeinsamen Rundgang durch die Kita wird so manches verständlicher. Auch Hospitationen geben einen Einblick in den Kindergarten. Spätestens in der Eingewöhnungszeit sollten die Eltern vielseitige Einblicke in die Räume und die Alltagsstruktur des Kindergartens bekommen. Manche Fragen klären sich hierbei von selbst oder können direkt in der Situation gestellt werden. So fällt einem muslimischen Elternteil beispielsweise beim Mittagessen ein, dass ihr Kind aus religiösen Gründen kein Schweinefleisch essen darf. Die Fachkraft kann gleich beruhigen, dass auf diesen Wunsch selbstverständlich Rücksicht genommen wird. Die Eltern sehen, dass manche Kinder ein Essen ganz ohne Fleisch bekommen und einzelne Kinder auch einmal ein besonderes Essen aufgrund von Allergien. Es ist definitiv sinnvoll, eine dolmetschende Person dabei zu haben. Notfalls können in der Elternarbeit Bildkarten, Dolmetscher-Apps und Wörterbücher die sprachliche Kommunikation unterstützen. Wenn möglich sollten die Eltern praktisch in den Kindergarten eingebunden werden. Sie können beispielsweise Bücher in ihrer Sprache vorlesen oder mit Kindern eine landestypische Speise aus ihrer Heimat zubereiten. Bei diesen Aktivitäten profitieren nicht nur die Kinder, sondern auch die Eltern. Sie lernen deutsche Wörter und Sätze und intensivieren die Beziehungen zu den Fachkräften und Kindern.
Fazit

Kinder aus geflüchteten Familien müssen sich im Kindergarten willkommen, sicher und geborgen fühlen können. Pädagogische Fachkräfte sollten aufgrund oftmals traumatischer Erfahrungen aus dem Heimatland und Flucht, individuell und sehr feinfühlig auf das Kind eingehen. Die Äußerungen und Verhaltensweisen des Kindes müssen immer auch durch die „kulturelle Brille“ betrachtet werden. Pädagogische Fachkräfte brauchen die Fähigkeiten, offen und einladend auf die Kinder zuzugehen und die gewöhnlichen Strukturen und Regeln der Kita ggf. auch einmal individuell zu ändern - zum Wohle des Kindes. Die Kita sollte ein Ort für geflüchtete Kinder sein, an dem sie wieder Kind sein dürfen. 
Quellen: 

• Bialek, Julia: Hilfe für traumatisierte Flüchtlingskinder in der KiTa. aus: Meine Kita – Das didacta Magazin für den Elementarbereich 2/15 (abrufbar unter: https://www.
nifbe.de/fachbeitraege/beitraege-von-a-z?view=item&id=535:hilfe-fuer-traumatisierte-fluechtlingskinder-in-der-kita&catid=293.de, Stand 19.11.2019)
• Soyer, Jürgen: Flüchtlingskinder und ihre Eltern - Eine rechtliche und interkulturelle Herausforderung im Alltag der Kinderbetreuung (20016) abrufbar unter: https://www.
kita-fuchs.de/ratgeber-paedagogik/beitrag/fluechtlingskinder-und-ihre-eltern-eine-rechtliche-und-interkulturelle-herausforderung-im-alltag-de, Stand 17.11.2019
• Textor, Martin R.: Flüchtlingskinder in der Kita. Abrufbar unter: https://www.kindergartenpädagogik.de/fachartikel/kinder-mit-migrationshintergrund/238.de, Stand
18.11.2019

Ihre Autorin

Silke Hubrig studierte Behindertenpädagogik, Sozialwissenschaften und Sport auf Lehramt und ist seit 2004 als Lehrkraft an einer beruflichen Schule für Gesundheit und Sozialpädagogik tätig. Zuvor arbeitete sie als Erzieherin und Tanz- und Bewegungspädagogin. Sie schreibt Fachbücher und Aufsätze für verschiedene pädagogische Fachverlage.