„Du bist aber eine hübsche Prinzessin, Lia!“ bewundert die Erzieherin das Mädchen beim Fasching. „Von Süßigkeiten wird man dick“, sagt Mama, „Und dick sein ist doof.“ erläutert Paul. „Ich will unbedingt, bis ich 6 Jahre alt bin lange blonde Haare haben“, sagt Selim, die ihrer Freundin gerade die Haare bürstet. Das körperliche Aussehen und Schönsein ist in Kitas ein Thema. Insbesondere die älteren Kita-Kinder können den Blick von außen auf ihren Körper einnehmen. Sie haben klare Vorstellungen von dem, was gesellschaftlich schön und was wenig erstrebenswert ist. Auch, wenn dieses spielerisch und durch die Sicherung ihrer Geschlechtsidentität oftmals sehr überzogen umgesetzt wird, ist es sinnvoll, dass Kinder sich mit diversen Möglichkeiten von Schönheit auseinandersetzen und ihren Körper wertschätzen, so wie er ist.
Körperwahrnehmung und Körperbewusstsein
Kinder finden es spannend, ihren Körper zu erkunden. Sie sind stolz darauf, wenn sie neue Bewegungsmuster erlernen und entdecken, dass ihr Körper tolle Sachen machen kann. Im Vordergrund stehen hier die lustvollen körperlichen Wahrnehmungserfahrungen der Kinder. Sie entwickeln durch vielfältige Wahrnehmungs- und Bewegungserfahrungen ein Körperbild und ein Bewusstsein für ihren Körper. Eine gute Körperwahrnehmung und ein gutes Körperbewusstsein sind die Grundlage, um ein positives Körpergefühl entwickeln zu können. Aus den Wahrnehmungs- und Bewegungserfahrungen und den Rückmeldungen aus der Umwelt (beispielsweise Kommentaren von Erwachsenen) bildet ein Kind ein Körpergefühl heraus.
Die Schönheitsnormen kommen ins Spiel
Je älter Kinder werden, desto mehr spielen gesellschaftliche Schönheitsnormen eine Rolle. Schönheitsnormen beschreiben das zu der Zeit herrschende Schönheitsideal. Dieses ist von Zeit zu Zeit und von Kultur zu Kultur unterschiedlich. Während in den 50er Jahren bei Frauen viel Brust, eine schmale Taille und breite Hüften mit einer Kleidergröße von 40 – 42 angesagt waren, sollten Frauen in den 90er Jahren wenig Brust haben, einen schlanken, schlaksigen Körper und blasse Haut. Mädchen und Jungen haben Bilder im Kopf, wie Menschen ihres Geschlechts aussehen müssen, um hübsch, beliebt und erfolgreich zu sein. Sie lernen es durch Beobachtungen und durch Kommentare älterer Kinder, Eltern, Menschen aus der Nachbarschaft etc., sehen die Modellbilder im Fernsehen, an Werbeplakaten und auf Litfaßsäulen. Je mehr Erwachsene, andere ältere Kinder oder die Medien Einfluss auf die Kinder nehmen, desto mehr spielten die Schönheitsnormen eine Rolle. So streckt ein Vorschulkind stolz den „dicken Bauch“ hervor, wenn es gerade viel von ihrer Lieblingsspeise gegessen hat, und präsentiert ihn den anderen. Einige Jahre später wird der Bauch lieber nicht für andere in diesem Zustand stolz zur Begutachtung freigegeben.
Wie Erwachsene das Schönheitsideal der Kinder beeinflussen
Kinder verinnerlichen schon sehr früh die Maßstäbe und Bewertungen, die sie vorgelebt oder anerzogen bekommen. Ein Kind, welches oft gesagt bekommt, es sei zu dick – obwohl es objektiv „ganz normal“ ist, glaubt es irgendwann. Hört ein Kind, dessen Ohren etwas abstehen, immer wieder von Erwachsenen Kommentare wie „Da kann man aber was gegen machen.“ oder Hänseleien der größeren Geschwister, so wird das Kind in dem Glauben aufwachsen, dass seine Ohren nicht in Ordnung sind.
Auch Vorurteile, die die Kinder zu Hause oder von einer Fachkraft hören, wie etwa „Niemand muss dick sein. Man kann ja wohl eine Diät machen! Dicke sind einfach nur faul!“ werden von Kindern übernommen.
Mädchen sind von dem ihre Körperform beurteilenden Blick oft stärker betroffen als Jungen. Mädchen wird öfter gesagt, dass sie ein süßes Kleid haben, hübschen Schmuck oder eine echt schicke Frisur haben. Jungen hingegen wird eher gesagt, dass sie mit der neuen Mütze cool aussehen oder es wird kommentiert, dass er ganz schöne kräftige Muskeln hat.
Wie Medien das Schönheitsideal der Kinder beeinflussen
Das, was Kinder in (nicht bewusst ausgewählten) Medien wie Bilderbüchern oder Kinderfernsehen präsentiert bekommen, sind meistens eindimensional stereotype männliche und weibliche Körperbilder. So gibt es sportliche, muskulöse und schlanke Helden und zarte, extrem schlanke Heldinnen. Auch, wenn Kita-Kinder die derzeit aktuellen Kinofilme noch nicht im Kino sehen, kennen sie die Figuren mit den einseitigen Körperformen von den Merchandisingprodukten. Die dem gesellschaftlichen Schönheitsideal perfekt entsprechenden Medienhelden und Medienheldinnen sind auf Brotdosen, Rucksäcken, Wintermützen oder Turnbeuteln zu sehen. Es wird wahrscheinlich kein Kita-Kind an Prinzessinnen mit extrem großen, blauen Augen und blonden, langen Haaren mit Wespentaille im funkelndem Kleid vorbeikommen, die selbst bei Minusgradtemperaturen einen perfekten Teint hat. Eine Prinzessin mit dünnen Haaren, einer Kurzhaarfrisur, üppigem, Speckröllchen an der Hüfte und Haare an den Beinen wäre unvorstellbar. Auch ein Superheld mit schmalem Oberkörper, dickem Bauch und Glatze wäre niemals ein Superheld. Durch die permanenten Wiederholungen der Stereotypen setzen sich diese Körperformen als erstrebenswert bei den Kindern fest. Wenige Ausnahmen bestätigen die Regel, wobei die Ausnahmen lediglich darin bestehen, dass der BMI dieser Figur nicht krankhaft ist.
Jeder Körper ist einzigartig und schön
Alle Menschen haben denselben körperlichen Aufbau – und doch sieht jeder und jede anders aus. Wir haben viel gemeinsam – und sind doch nicht genau gleich. So haben wir alle Ohren, aber bei genauerer Betrachtung gleicht kein Ohr haargenau dem anderen. Dieses können die Kinder leicht überprüfen. Es ist spannend für die Kinder genau wahrzunehmen, wie unterschiedlich Hautfarben, Haarfrisuren, Bauchnabel, Zehen und Finger aussehen. Jedes Kind ist individuell und jeder Körper ist schön! Ein „normal“ gibt es streng genommen nicht, was Körperformen betrifft. Um den Kindern dieses zu vermitteln reichen Belehrungen nicht aus. Vielmehr brauchen die Kinder positive Körpererfahrungen. So kann das Kind seinen Körper mit all seinen Möglichkeiten kennenlernen und wertschätzen. Den Kindern soll bewusst werden, was ihr Körper alles kann: klettern, tanzen, liegen, hüpfen, winken, Essen verdauen, atmen, blinzeln und mit den Ohren wackeln. Es gibt viel zu entdecken. Neben diesen körperlichen Kompetenzen sind positive Wahrnehmungserfahrungen von großer Bedeutung. In welchen Momenten fühlt sich dein Körper toll an? Barfuß auf warmen Steinen laufen? In der warmen Badewanne liegen? Vom Papa abgetrocknet werden? Auf der Schaukel ganz hoch schaukeln? Wer seinen Körper gerne mag, der pflegt und schützt ihn auch. Das ist eine bedeutende Grundlage für die Gesundheitserziehung.
Mit Kindern über Schönheit sprechen
Vorschulkinder sind noch nicht in der Lage, die ihnen präsentierten Körperbilder kritisch zu hinterfragen. Sie sind so gegenwärtig, dass sie als „normal“ hingenommen werden. Deshalb sind sie darauf angewiesen, dass es Erwachsene gibt, die sie über die Realität aufklären, bzw. die mit ihnen über Schönheit sprechen. Es macht wenig Sinn, den Kindern ihre Lieblingsserie, ihr Lieblingsbuch oder Spielzeug madig zu machen, indem Erwachsene Kommentare zur Körperform machen, wie etwa: „So viele Muskeln hat der Kerl! Das sieht ja voll komisch aus!“ Schließlich identifizieren sich Jungen und Mädchen mit ihren Medienhelden- und heldinnen. Wer schlecht über sie redet, kränkt auch das Kind. Effektiver ist es mit den Kindern über Schönheit zu sprechen. „Was ist Schönheit?“ „Was ist an einem Menschen schön?“ „Warum gefällt dir das?“ „Kann es auch hässliche Sachen an einem Menschen geben?“ „Wer bestimmt, was schön oder nicht schön ist?“ „Was macht einen Menschen schön? Kleidung? Das Lächeln?“ Vielleicht wird im Gespräch schnell klar, dass jeder etwas anderes schön findet. Das sieht man beispielsweise an Lieblingsfarben der Kinder.
Pädagogische Fachkräfte als Vorbild
Um den Kindern authentisch zu vermitteln, dass alle Körperformen schön sind, sind Fachkräfte aufgefordert, sich hinsichtlich ihres eigenen Körpergefühls und ihrem eigenen Denken über Schönheitsnormen zu reflektieren. Kinder schenken ihren Beobachtungen mehr Glauben als verbalen Belehrungen. Wenn eine Fachkraft sagt, dass es ganz egal ist, ob jemand dick oder dünn ist – und ständig ihren Pullover über ihre Hüfte zieht oder auf mit den Worten „Oh, heute lieber nicht. Ich werde zu dick!“ den Nachtisch ablehnt, werden Kinder dieses Verhalten wahrnehmen und diesem mehr Gewicht verleihen als dem gesprochenen Worten. (Nicht nur) deshalb sollten Fachkräfte sich mit dem Thema Schönheitsdiktat auseinandersetzen und ihre persönlichen Meinungen und pädagogischen Handlungen kritisch beäugen.