Silke Hubrig: »Die Frau in der Bäckerei und der Mann in der Autowerkstatt – Geschlechterrollen im Bilderbuch« (Dezember 2020)
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Die Lebenswelt und Sozialisation der Kinder ist maßgeblich von Medien geprägt. Medien sind neben Familie und Kita ein eigener Sozialisationsfaktor. Bilderbücher sind die Medien von Vorschulkindern. Sie sind Zuhause und in allen Kitas vor Ort. Kinder betrachten Bilderbücher alleine oder gemeinsam mit anderen Kindern. Sie lassen sich die Bücher gerne von einem Erwachsenen vorlesen. Eine gezielte gemeinsame Bilderbuchbetrachtung, die von der pädagogischen Fachkraft geleitet wird, bietet den Kindern die Möglichkeit, sich intensiv mit einem ausgewählten Bilderbuch und seinem Inhalt zu beschäftigen.
Bilderbücher vermitteln Geschlechterrollen „nebenbei“
So wie andere Medien auch, vermitteln Bilderbücher u. a. Informationen über gesellschaftliche Geschlechterrollen. Was bedeutet es, ein Mädchen zu sein? Wie muss ich mich benehmen, um gesellschaftlich als Junge anerkannt zu werden? Bilder und Geschichten geben Aufschluss darüber, auch wenn im Bilderbuch ein ganz anderes Thema zentral ist. Wenn es beispielsweise darum geht, dass ein Kind bei einem anderen Kind übernachtet, so bekommt das lesende Kind „nebenbei“ auch immer Informationen zu Geschlechterrollen: Der große Bruder erschreckt seine Schwester und ihren Übernachtungsgast, die gerade ihre Puppen ins Bett bringen. Die Mama bereitet das Abendessen zu und der Papa kümmert sich beim Stromausfall am Abend darum, dass es wieder Licht im Haus gibt. Die Kinder lernen, was Weiblichkeit und Männlichkeit in unserer Gesellschaft ausmacht und welche Verhaltensweisen und Äußerlichkeiten von Jungen und Männern bzw. Mädchen und Frauen erwartet wird. Insbesondere im Vorschulalter ist eine der Hauptentwicklungsaufgabe der Kinder die Entwicklung der Geschlechtsidentität. Was bin ich für ein Mädchen oder Junge? Wie kann ich sein? Wie möchte ich sein? Wie sehen mich die anderen? Bilderbücher liefern den Kindern Geschlechterrollenmodelle. An diesen orientieren sich die Kinder.
Die gängigen Bilderbücher vermitteln Geschlechterstereotype
Viele wissenschaftliche Studien zeigen, dass die Darstellung von Mädchen und Jungen und Männern und Frauen in Bilderbüchern seit den 50er Jahren noch immer stereotypisch ist. Dieses betrifft das Aussehen und die Kleidung der Figuren und die Tätigkeiten, denen sie nachgehen. Frauen werden überwiegend im Haus dargestellt, während sie sich um Haushalt und Kinder kümmern oder auch andere bekümmern und pflegen als Erzieherin oder Kinderkrankenschwester. Männer sind mehrheitlich „draußen“ zu sehen, beispielsweise als Busfahrer, Bauarbeiter auf der Baustelle oder auf dem Weg ins Büro. Jungen erleben mehr Abenteuer als Mädchenfiguren. Jungen und Mädchen werden insbesondere in Bilderbüchern für junge Kinder auch als Tiere dargestellt. Durch geschlechterstereotypische Attribute wie etwa die Kennzeichnung eines weiblichen Tieres durch eine Schleife auf dem Kopf oder langen Wimpern. Bestimmte Bücher, die thematisch für Mädchen gedacht sind, werden durch Pastellfarben oder die Farbe rosa gekennzeichnet. In diesen Büchern finden Mädchen Rollenmodelle wie Prinzessinnen, für die Schönheit im Vordergrund steht oder Mädchen, die sich um
Pferde kümmern. Bücher, die Jungen lesen sollen, sind dunkel gestaltet. Dort
finden sich oft Geschlechterrollenmodelle, die stark, mutig und unbesiegbar
sind. Für beide Geschlechter sind diese Rollenbilder sehr einengend und auf nur
ein paar Themen und Kompetenzen begrenzend. Eine Erklärung dafür, dass
geschlechterspezifische Bilderbücher überhaupt auf dem Markt sind, liefert das
Gendermarketing. Auch Verlage sind an Verkaufszahlen interessiert und
profitieren davon, dass sich Produkte gut verkaufen lassen, die speziell für
Jungen und für Mädchen gestaltet sind, auch wenn dieses aus Sicht der
Kinder nicht nötig ist, sondern lediglich aus
dem Blickwinkel der Menschen, die damit Geld verdienen. Denn „fallen“ die
Käuferinnen und Käufer auf das Prinzip herein, müssen weitere Produkte auf den Markt. (Vgl. https://projekte.sueddeutsche.de/artikel/kultur/gender-wie-gleichberechtigt-sind-kinderbuecher-e970817/, Stand vom 07.07.2019)
Kinder brauchen vielfältige Geschlechterrollenmodelle
Werden den Kindern lediglich Bilderbücher angeboten, die geschlechterstereotypische Rollen darstellen, werden die Kinder in ihrer eingeschränkt. Jungen und Mädchen sollten vielfältige Rollenmodelle kennenlernen, die verdeutlichen, dass die Gemeinsamkeiten der Geschlechter viel größer sind, als mögliche Unterschiede. Jedes Kind sollte die Möglichkeit haben, ein Rollenmodell zur Orientierung zu finden, was ihren entspricht. Kinder identifizieren sich mit den Figuren aus den Bilderbüchern. Dafür brauchen sie Vertrautes, was sie im Buch vorfinden. Mädchen identifizieren sich meist mit Mädchen und Jungen mit Jungenfiguren. Bilderbücher bieten die Chance, in der Phantasie das Vertraute für einen Moment zu verlassen und so erlebt ein beispielsweise schüchternes Mädchen, unberechenbar, stark und frei wie Pippi Langstrumpf zu ein oder ein Junge, der im Alltag eher motorisch ungeschickt ist, sich kompetent und lebensrettend zu fühlen wie Feuerwehrmann Sam. So kann das Kind seinen Horizont erweitern. Es lernt die Vielfalt, die es auf dieser Welt gibt, kennen. Am besten ist eine Mischung aus Vertrautem und Neuem. Vielleicht hat deshalb das auf den ersten Blick ganz „normal“ scheinende Mädchen Bibi Blocksberg, die Hexenkraft besitzt oder andere Medienhelden und Medienheldinnen einen so großen Reiz für viele Kinder.
Bilderbücher genderbewusst auswählen
Weil die Beeinflussung durch Medien und eben im Vorschulbereich durch Bilderbücher sehr groß sind, sollten die Bücher sehr bewusst und reflektiert für die Kinder ausgesucht werden. Welche Geschlechterrollenbilder verkörpern sie? Fällt das Mädchen vom Baum? Ist der Kinderarzt ein Mann und die Arzthelferin weiblich? Geht die Mama mit dem Kind zum Arzt und dem Papa wird abends vom Arztbesuch erzählt? Es lohnt sich, genau hinzuschauen, was Jungen und Mädchen hinsichtlich ihrer Geschlechterrollen vermittelt wird. Werden Geschlechterrollenklischees unterstützt? Oder können die Kinder ihr Rollenverständnis erweitern? Die pädagogischen Fachkräfte sollten bei ihrem Bilderbuchangebot stets darauf achten, dass die Kinder ihr Geschlechterrollenverständnis erweitern können und sie die Vielfalt der Geschlechter kennenlernen. Dazu gehört beispielsweise auch, dass es neben Jungen und Mädchen auch intergeschlechtliche Kinder gibt. Transgeschlechtliche Kinder sollen sich auch in Bilderbüchern wiederfinden können.
Hilfreich sind beim Blick durch die „Genderbrille“ folgende Fragen:
Insbesondere in Büchern älteren Datums werden tradierte, stereotypische Geschlechterrollen dargestellt. Es bedeutet nicht, dass diese sofort aus dem Bestand verbannt werden sollten. Vielmehr können sie wertvolle Anknüpfungspunkte für Gespräche über Geschlechterrollen mit den Kindern sein. Die pädagogischen Fachkräfte sollten sie auf Stereotype hinweisen und diese hinterfragen. Zum Beispiel: „Wieso haben nur die Mädchen Puppen zum Spielen? Spielen Jungen nicht mit Puppen?“
Geschlechtervielfalt in die Kita bringen
Kinder brauchen unterschiedliche Geschlechterrollenmodelle. Alle Jungen und Mädchen der Kita sollen sich in den Bilderbüchern wiederfinden. Zudem sollen die Kinder durch Bilderbücher ihre Welt und ihr Verständnis von Männlichkeit und Weiblichkeit erweitern können. Es gibt so unglaublich viele Möglichkeiten, männlich und weiblich zu sein, die den Kindern nicht vorenthalten werden sollen.
Bilderbücher vermitteln Geschlechterrollen „nebenbei“
So wie andere Medien auch, vermitteln Bilderbücher u. a. Informationen über gesellschaftliche Geschlechterrollen. Was bedeutet es, ein Mädchen zu sein? Wie muss ich mich benehmen, um gesellschaftlich als Junge anerkannt zu werden? Bilder und Geschichten geben Aufschluss darüber, auch wenn im Bilderbuch ein ganz anderes Thema zentral ist. Wenn es beispielsweise darum geht, dass ein Kind bei einem anderen Kind übernachtet, so bekommt das lesende Kind „nebenbei“ auch immer Informationen zu Geschlechterrollen: Der große Bruder erschreckt seine Schwester und ihren Übernachtungsgast, die gerade ihre Puppen ins Bett bringen. Die Mama bereitet das Abendessen zu und der Papa kümmert sich beim Stromausfall am Abend darum, dass es wieder Licht im Haus gibt. Die Kinder lernen, was Weiblichkeit und Männlichkeit in unserer Gesellschaft ausmacht und welche Verhaltensweisen und Äußerlichkeiten von Jungen und Männern bzw. Mädchen und Frauen erwartet wird. Insbesondere im Vorschulalter ist eine der Hauptentwicklungsaufgabe der Kinder die Entwicklung der Geschlechtsidentität. Was bin ich für ein Mädchen oder Junge? Wie kann ich sein? Wie möchte ich sein? Wie sehen mich die anderen? Bilderbücher liefern den Kindern Geschlechterrollenmodelle. An diesen orientieren sich die Kinder.
Die gängigen Bilderbücher vermitteln Geschlechterstereotype
Viele wissenschaftliche Studien zeigen, dass die Darstellung von Mädchen und Jungen und Männern und Frauen in Bilderbüchern seit den 50er Jahren noch immer stereotypisch ist. Dieses betrifft das Aussehen und die Kleidung der Figuren und die Tätigkeiten, denen sie nachgehen. Frauen werden überwiegend im Haus dargestellt, während sie sich um Haushalt und Kinder kümmern oder auch andere bekümmern und pflegen als Erzieherin oder Kinderkrankenschwester. Männer sind mehrheitlich „draußen“ zu sehen, beispielsweise als Busfahrer, Bauarbeiter auf der Baustelle oder auf dem Weg ins Büro. Jungen erleben mehr Abenteuer als Mädchenfiguren. Jungen und Mädchen werden insbesondere in Bilderbüchern für junge Kinder auch als Tiere dargestellt. Durch geschlechterstereotypische Attribute wie etwa die Kennzeichnung eines weiblichen Tieres durch eine Schleife auf dem Kopf oder langen Wimpern. Bestimmte Bücher, die thematisch für Mädchen gedacht sind, werden durch Pastellfarben oder die Farbe rosa gekennzeichnet. In diesen Büchern finden Mädchen Rollenmodelle wie Prinzessinnen, für die Schönheit im Vordergrund steht oder Mädchen, die sich um
Pferde kümmern. Bücher, die Jungen lesen sollen, sind dunkel gestaltet. Dort
finden sich oft Geschlechterrollenmodelle, die stark, mutig und unbesiegbar
sind. Für beide Geschlechter sind diese Rollenbilder sehr einengend und auf nur
ein paar Themen und Kompetenzen begrenzend. Eine Erklärung dafür, dass
geschlechterspezifische Bilderbücher überhaupt auf dem Markt sind, liefert das
Gendermarketing. Auch Verlage sind an Verkaufszahlen interessiert und
profitieren davon, dass sich Produkte gut verkaufen lassen, die speziell für
Jungen und für Mädchen gestaltet sind, auch wenn dieses aus Sicht der
Kinder nicht nötig ist, sondern lediglich aus
dem Blickwinkel der Menschen, die damit Geld verdienen. Denn „fallen“ die
Käuferinnen und Käufer auf das Prinzip herein, müssen weitere Produkte auf den Markt. (Vgl. https://projekte.sueddeutsche.de/artikel/kultur/gender-wie-gleichberechtigt-sind-kinderbuecher-e970817/, Stand vom 07.07.2019)
Kinder brauchen vielfältige Geschlechterrollenmodelle
Werden den Kindern lediglich Bilderbücher angeboten, die geschlechterstereotypische Rollen darstellen, werden die Kinder in ihrer eingeschränkt. Jungen und Mädchen sollten vielfältige Rollenmodelle kennenlernen, die verdeutlichen, dass die Gemeinsamkeiten der Geschlechter viel größer sind, als mögliche Unterschiede. Jedes Kind sollte die Möglichkeit haben, ein Rollenmodell zur Orientierung zu finden, was ihren entspricht. Kinder identifizieren sich mit den Figuren aus den Bilderbüchern. Dafür brauchen sie Vertrautes, was sie im Buch vorfinden. Mädchen identifizieren sich meist mit Mädchen und Jungen mit Jungenfiguren. Bilderbücher bieten die Chance, in der Phantasie das Vertraute für einen Moment zu verlassen und so erlebt ein beispielsweise schüchternes Mädchen, unberechenbar, stark und frei wie Pippi Langstrumpf zu ein oder ein Junge, der im Alltag eher motorisch ungeschickt ist, sich kompetent und lebensrettend zu fühlen wie Feuerwehrmann Sam. So kann das Kind seinen Horizont erweitern. Es lernt die Vielfalt, die es auf dieser Welt gibt, kennen. Am besten ist eine Mischung aus Vertrautem und Neuem. Vielleicht hat deshalb das auf den ersten Blick ganz „normal“ scheinende Mädchen Bibi Blocksberg, die Hexenkraft besitzt oder andere Medienhelden und Medienheldinnen einen so großen Reiz für viele Kinder.
Bilderbücher genderbewusst auswählen
Weil die Beeinflussung durch Medien und eben im Vorschulbereich durch Bilderbücher sehr groß sind, sollten die Bücher sehr bewusst und reflektiert für die Kinder ausgesucht werden. Welche Geschlechterrollenbilder verkörpern sie? Fällt das Mädchen vom Baum? Ist der Kinderarzt ein Mann und die Arzthelferin weiblich? Geht die Mama mit dem Kind zum Arzt und dem Papa wird abends vom Arztbesuch erzählt? Es lohnt sich, genau hinzuschauen, was Jungen und Mädchen hinsichtlich ihrer Geschlechterrollen vermittelt wird. Werden Geschlechterrollenklischees unterstützt? Oder können die Kinder ihr Rollenverständnis erweitern? Die pädagogischen Fachkräfte sollten bei ihrem Bilderbuchangebot stets darauf achten, dass die Kinder ihr Geschlechterrollenverständnis erweitern können und sie die Vielfalt der Geschlechter kennenlernen. Dazu gehört beispielsweise auch, dass es neben Jungen und Mädchen auch intergeschlechtliche Kinder gibt. Transgeschlechtliche Kinder sollen sich auch in Bilderbüchern wiederfinden können.
Hilfreich sind beim Blick durch die „Genderbrille“ folgende Fragen:
- Wie viele Männer/Jungen und Frauen/Mädchen tauchen im Buch auf?
- Welches Geschlecht macht was im Buch? (Welche Aufgaben haben Männer und Frauen? Welche Spiele spielen Jungen und Mädchen? Welche Charaktereigenschaften haben Männer und Frauen bzw. Jungen und Mädchen? Welche Fähigkeiten zeigen sie?
- Welche Berufe werden von welchem Geschlecht dargestellt?
- Werden die Menschen hinsichtlich ihres Aussehens (Kleidung, Körperhaltung) geschlechtstypisch dargestellt?
- Werden Familien traditionell dargestellt oder werden alternative Familienmodelle gezeigt? (Vgl. Hubrig, 2019, S. 80)
Insbesondere in Büchern älteren Datums werden tradierte, stereotypische Geschlechterrollen dargestellt. Es bedeutet nicht, dass diese sofort aus dem Bestand verbannt werden sollten. Vielmehr können sie wertvolle Anknüpfungspunkte für Gespräche über Geschlechterrollen mit den Kindern sein. Die pädagogischen Fachkräfte sollten sie auf Stereotype hinweisen und diese hinterfragen. Zum Beispiel: „Wieso haben nur die Mädchen Puppen zum Spielen? Spielen Jungen nicht mit Puppen?“
Geschlechtervielfalt in die Kita bringen
Kinder brauchen unterschiedliche Geschlechterrollenmodelle. Alle Jungen und Mädchen der Kita sollen sich in den Bilderbüchern wiederfinden. Zudem sollen die Kinder durch Bilderbücher ihre Welt und ihr Verständnis von Männlichkeit und Weiblichkeit erweitern können. Es gibt so unglaublich viele Möglichkeiten, männlich und weiblich zu sein, die den Kindern nicht vorenthalten werden sollen.