
Jenseits didaktischer Moden
Praxis Geschichte – der Titel ist zugleich Programm. Es geht der Zeitschrift nicht um die theoretische Reflexion des historischen Lernens, sondern um praktikable Vorschläge für den Geschichtsunterricht. Als die Test‐Ausgabe im Jahr 1987 und die erste reguläre Ausgabe zum Thema "Industrialisierung" 1988 erschienen, hatte das Unterrichtsfach Geschichte bewegte Zeiten hinter sich.
In den 1970er Jahren war der Geschichtsunterricht massiv unter Druck geraten. Ein Rückblick in die Vergangenheit angesichts des damaligen Fortschrittsoptimismus erschien wenig zeitgemäß; im Zuge der Bildungsreform wurden die traditionellen Lerninhalte grundsätzlich in Frage gestellt und Integrationsfächer wie "Gesellschaftslehre" erschienen als zukunftsweisend. Auch die wissenschaftliche Bezugsdisziplin geriet unter Rechtfertigungszwang und musste die grundlegende Frage beantworten: "Wozu Geschichte?"
Geschichtsbewusstsein
Aus dieser Verteidigungshaltung heraus orientierte sich nicht nur die Geschichtswissenschaft neu, sondern auch die Geschichtsdidaktik. Auf dem Historikertag in Mannheim 1976 präsentierte Karl‐Ernst Jeismann grundsätzliche Überlegungen zum "Geschichtsbewusstsein in der Gesellschaft" – was heute neudeutsch oft als "Public History" bezeichnet wird. Er lieferte damit gleichsam die Gründungsurkunde der neuen Teildisziplin, die sich dann institutionell an den Universitäten, insbesondere den historischen Seminaren und Instituten etablieren konnte, mithin den Rock des Schulmeisters mit dem Talar des Professors vertauschte.
Eine Didaktik des Geschichtsunterrichts gab es, auch wenn sie so nicht genannt wurde, allerdings schon seit der Etablierung des Unterrichtsfaches im 19. Jahrhundert. Öffentlicher Erfahrungsaustausch von Geschichtslehrkräften, Erörterungen von Professoren, Stellungnahmen von Lehrerverbänden, Kommentare in der Presse – all das begleitete spätestens seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert den schulischen Geschichtsunterricht. Und in den einschlägigen Zeitschriften und Publikationen wurden Praxistipps ausgetauscht und Unterrichtsvorschläge präsentiert und diskutiert. Praxis Geschichte knüpfte somit an eine alte Tradition an. Mit der Neubestimmung der Didaktik der Geschichte als geschichtswissenschaftliche Teildisziplin gewann und verlor das Unterrichtsfach Aufmerksamkeit. Es verlor, weil nun außerschulische Formen der Geschichtsvermittlung und Geschichtsrezeption Interesse fanden; es gewann, weil es nun Objekt wissenschaftlicher Forschungsbemühungen und grundsätzlicher Erörterungen wurde. So erlangten die Ziele des historischen Lernens und der Zuschnitt des Unterrichtsfaches eine herausragende Bedeutung.
Streit der didaktischen Positionen
Die akademische Szene sortierte sich nach geschichtsdidaktischen Positionen und nach sich mitunter heftig befehdenden "Schulen", die als "lern‐ und unterrichtsbezogen", als "schüler‐, erziehungs‐ und bildungsorientiert", als "fach‐ und wissenschaftsgeleitet" oder als "gegenwarts‐ und gesellschaftsbezogen" bezeichnet wurden und ihr Interesse auf die Verbesserung der schulischen Unterrichtspraxis oder der Gesamtgesellschaft richteten. Praxis Geschichte ließ sich keiner dieser "Schulen" zuordnen, auch wenn in einzelnen Beiträgen und Heften eine entsprechende Ausrichtung durchschimmerte.
Die geschichtsdidaktischen Grabenkämpfe vergangener Tage sind abgeflaut. Es gab (und gibt) einen Grundkonsens, dass historisches Lernen in der Schule vom gesellschaftlichen Geschichtsbewusstsein grundiert wird, dass Geschichtskultur, also der öffentliche Umgang mit der Historie, seinen Platz im Unterricht haben muss und dass Geschichte nicht als Lernfach, sondern als Denkfach zu verstehen ist, mithin nicht die Aneignung von Wissen, sondern Operationen des Wahrnehmens, Interpretierens, Deutens und Urteilens im Mittelpunkt stehen. Dies spiegelt sich in vielfältiger Weise auch in Praxis Geschichte wider. Neue Themen wurden aufgegriffen und einzelne Beiträge widmeten sich so sehr der Urteilsbildung, dass sie auch für den Seminarbetrieb an der Universität geeignet gewesen wären.
Kompetenzorientierter Unterricht
Nach dem so genannten PISA‐Schock wurde in den 2000er‐Jahren "Kompetenz" zum neuen Mantra der Geschichtsdidaktik: Mit bewundernswerter intellektueller Leidenschaft diskutierte und entwickelte die Fachwelt eine Vielzahl von zum Teil hochabstrakten Kompetenzmodellen. Ohne "Kompetenz" ist historisches Lernen momentan nicht vorstellbar; der Begriff durchzieht die geschichtsdidaktische Literatur – und kein Lehrplan kommt ohne ein entsprechendes Modell und die dazugehörige Begrifflichkeit aus. Und auch in Praxis Geschichte werden inzwischen bei den einzelnen Beiträgen Kompetenzen ausgewiesen.
Das heißt aber nicht, dass es in der Geschichtsdidaktik keine unterschiedlichen Positionen oder unstrittigen Fragen mehr gäbe. Soll die Vermittlung der Sache eher im Mittelpunkt stehen oder eher das spontane Lernverhalten der Kinder und Jugendlichen? Besteht historisches Lernen aus der freien Konstruktion eigener Geschichtsbilder oder eher aus der abwägenden Aneignung verschiedener Deutungen? Welches Verhältnis besteht zwischen belastbarem Wissen und kritischer Reflexion, ja Dekonstruktion desselben? Welche Rolle spielt die persönliche Erfahrung und die Emotionalität überhaupt? Welche Rollen spielen Lehrkräfte und Schüler? Ist Instruktion angesagt oder selbstständige Erarbeitung von historischen Sachverhalten? Ist die Schule Leistungsschule oder Erlebnisschule? In den Heften von Praxis Geschichte finden sich vielfältige Unterrichtvorschläge, mit denen die verschiedenen Ansprüche erfüllt werden können. Das mag theoretisch eklektizistisch sein, praktisch aber überaus anregend.