Friedrich Nietzsches Philosophie nimmt im Rahmen des schulischen Philosophie- und Ethikunterrichts üblicherweise eher einen Nischenplatz ein. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Zum einen handelt es sich bei Nietzsche um einen Philosophen, dessen Werk durchaus von Brüchen und Widersprüchen geprägt ist und sich nicht als einheitliche Theorie zu diesem oder jenem philosophischen Inhaltsfeld heranziehen lässt. Zum anderen stellen die hohe Literarizität und Narrativität von Nietzsches Sprache und sein aphoristischer Stil manchmal eine Hürde dar, sich eingehender mit seiner Philosophie auseinanderzusetzen. Daher kommen im Schulunterricht zumeist nur einige wenige Texte Nietzsches zum Zuge, die vorrangig als Kontrastmittel im Kontext der Auseinandersetzung mit anderen Denkern fungieren. Ein Autorenheft, das die Reihe der Autorenhefte dieser Zeitschrift fortsetzt und das das Denken Nietzsches hinsichtlich der verschiedenen Dimensionen des Philosophierens in den Blick nimmt, stellt sich der Herausforderung, die unterschiedlichen Facetten seiner Philosophie, über die üblichen Versatzstücke hinaus, für den schulischen Philosophie- und Ethikunterricht handhabbar zu machen. Nietzsches Philosophie markiert einen ideengeschichtlichen Wendepunkt zum Aufbruch in die Moderne, an dem althergebrachte Gewissheiten ins Wanken geraten, seien es erkenntnistheoretische, ethisch-moralische oder staatsphilosophische und politische. Auch in anthropologischer Hinsicht sieht sich der Mensch an der Türschwelle zur Moderne in seinem Selbst-, Menschen- und Weltbild tiefen Zerwürfnissen ausgesetzt, so dass auch die neue Wissenschaft der Psychologie wohl kaum zufällig aus dieser Zeit des Umbruchs hervorgeht. Die vor allem von Nietzsche proklamierte Gottverlassenheit des Menschen zeigt sich nicht nur in einer stärkeren Abkehr von religiöser Vormundschaft schon seit der Aufklärung, sondern auch in dem Bewusstsein, dass der Mensch im Universum ein tatsächlich sehr einsames und verlassenes Dasein fristen könnte. Doch Nietzsches Nihilismus reicht tiefer, da der auf sich selbst zurückgeworfene Mensch an der Schwelle zur Moderne erkennen muss, dass selbst die Sprache, die bisweilen noch gewissermaßen als letzter Strohhalm menschlichen Erkenntnisvermögens gelten durfte, letztlich nur der selbstbezogenen, anthropomorphen Wirklichkeitsverbildlichung dienen könnte. Doch was bleibt jenseits eines solchen tiefreichenden Nihilismus? Nietzsche selbst richtete seine Hoffnungen auf die Zukunft und den Menschen, der sich selbst neu erfinden und seine Existenz und sein Denken auf neue Beine stellen müsse. Dieses sehr moderne Konzept des Selbstentwurfes darf sicherlich als eine wesentliche Erklärung dafür gelten, dass die Wirkung von Nietzsches Werk im weiteren Verlauf der Moderne und darüber hinaus derart weitreichend ausgefallen ist und ihn zu einem unverzichtbaren Philosophen auch im Kontext des Ethik- und Philosophieunterrichts werden lässt.