Kompetenz-Tagebuch - Begleiter in Schule und Ausbildung

Interview mit der Autorin Jutta Mohamed-Ali
Welche Rolle Kompetenzen in der Berufsbildung spielen und wie das Kompetenz-Tagebuch dabei hilft, diese zu fördern.
Was versteht man in der Berufsbildung unter Kompetenzen?
Generell gibt es keine Unterschiede in der von Kompetenzen in Schule oder Berufsbildung. Die vier großen Kompetenzgruppen Fachkompetenz, Methodenkompetenz, Soziale Kompetenz und Persönliche Kompetenz sind immer beschrieben aus Fähigkeiten, Kenntnissen, Fertigkeiten und der jeweiligen Bereitschaft, dies auch entsprechend einzusetzen bzw. weiter zu entwickeln.
Welche unterschiedlichen Kompetenzen gibt es in der Beruflichen Bildung?
Insgesamt bestimmt mehr als 100. Es kommt immer darauf an, in welches Fachbuch man gerade schaut. Die eben genannten vier Kompetenzgruppen sind nur Überbegriffe für Einzelkompetenzen. So gehört z.B. die Kommunikationsfähigkeit sowohl zur Sozialkompetenz, wenn ich mit anderen interagiere, als auch zur Persönlichkeitskompetenz, wenn es darum geht, wie fähig ich ganz persönlich zur Kommunikation mit anderen in puncto Rhetorik oder Offenheit bin. Daher stehen die wenigsten Kompetenzen auch allein für sich. Meist muss man sie sich immer in der Kombination mit anderen Einzelkompetenzen anschauen. Im Kompetenz-Tagebuch habe ich über 50 Einzelkompetenzen beschrieben. Dazu gehören z.B. auch Aspekte wie „Kritikfähigkeit“, „Informationsbeschaffung“, „Selbstdisziplin“.
Was steckt hinter Ihrem Kompetenz-Tagebuch? Wie sind Sie auf die Idee gekommen es zu entwickeln?
In der täglichen, praktischen Arbeit mit Auszubildenden und dual Studierenden fiel mir immer wieder auf, dass der Begriff „kompetent sein“ oft nur auf Fachinhalte bezogen wurde. In Beurteilungsgesprächen werden aber meist soziale und persönliche Kompetenzen besprochen. Viele junge Erwachsene haben zwar eine Vorstellung davon, was sich hinter den Begriffen verbirgt, die wenigsten sind aber in der Lage, das auch in ihren eigenen Worten zu beschreiben. Genau das wird aber unter anderem in Vorstellungsgesprächen schon für Ausbildungsplätze, Studienplätze und später für Arbeitsplätze gefordert. Allein mit der Frage: „Was verstehen Sie unter dem Begriff „Teamfähigkeit“?“ sind und waren viele junge Menschen überfordert. Arbeitgeber erhalten dann Aussagen wie: „Ich kann gut mit Menschen zusammenarbeiten“ als alleinige Erklärung. Das allein reicht aber nicht. Vielen Schülerinnen und Schülern ist überhaupt nicht bewusst, wie viele persönliche und soziale Kompetenzen sie während ihrer Schulzeit und im Privatbereich aufbauen und können dies dann nur schwer in Worte fassen. Das ist aber enorm wichtig, um sich selbst bewusst zu machen, was man eigentlich schon alles kann und beherrscht. Das Kompetenz-Tagebuch dient genau dieser Aufgabe: Im Gespräch mit Erziehern, Lehrern, Ausbildern bewusst machen, welche Kompetenzen schon erworben wurden und an welchen man noch „feilen“ möchte. Und vor allem um die Frage zu klären: „Welche Aufgaben brauche ich, um einzelne Kompetenzen weiterentwickeln zu können?“ Es ist wichtig, dass junge Menschen im Schul- und Berufsleben ein Gefühl dafür bekommen, dass es auch ihre eigene Verantwortung ist, sich Aufgaben zu suchen, oder sich diese geben zu lassen, um ganz bestimmte Kompetenzen weiterentwickeln zu können.
Wie ist das Tagebuch aufgebaut und welcher Zweck wird damit verfolgt?
Das Tagebuch dient als Dokumentationsmöglichkeit für Reflexionsgespräche. Ein Beispiel: Ein Schüler hat im Fach Informatik an einem Projekt mit gearbeitet, zum Beispiel an einer Webseiten-Programmierung. Die fachlichen Inhalte, die dabei gelernt wurden, stehen im Zeugnis oder in einer Projektbescheinigung. Aber methodische, soziale und persönliche Kompetenzen werden nicht besprochen, nicht dokumentiert und somit auch nicht reflektiert. Dabei kann man sich hier so viele Fragen stellen:

  • Hatte der Schüler eine Projektleitungsfunktion?
  • Wie wurde im Team zusammengearbeitet?
  • Welche Methode zur Projektsteuerung wurde eingesetzt?
  • Wie war die Informationsbeschaffung?
  • Wurde das Projekt präsentiert? Wenn ja, wie war die Präsentation?
Und schon hat man ganz viele Kompetenzen gestreift: vom Projektmanagement, über Präsentationskompetenz, Rhetorik, Teamfähigkeit, Führungsqualitäten, Eigeninitiative, Selbstlernkompetenz, Informationsbeschaffung und–bewertung, Selbstmotivation, etc. Im Gespräch mit dem Lehrer können diese Einzelkompetenzen nun reflektiert werden und der Lernende kann sich bewusst machen, ob er ähnliche oder andere Aufgaben braucht, um z.B. seine Präsentationskompetenz weiter zu verbessern. Am Ende erhält er über den Eintrag der Kompetenzeinschätzung in das Spinnenraster ein Stärkenprofil, das seine besten Talente zeigt.
Wie sollte das Kompetenz-Tagebuch genutzt werden?
Als Gesprächsdokumentation. Man sollte Nachwuchskräfte damit nicht allein lassen, denn die Suche nach Aufgaben zur Weiterentwicklung von Kompetenzen ist der wichtigste Bestandteil. Auch die Selbstreflexion darüber, wie man sich selbst bei einer Kompetenz einschätzt (Wie gut bin ich schon darin?) gelingt am ehesten im Gespräch.
Welchen Mehrwert bietet das Kompetenz-Tagebuch für den Unterricht?
Auf alle Fälle eine Diskussionsgrundlage, um sich überhaupt mit dem Kompetenzbegriff zu beschäftigen und damit die Schülerinnen und Schüler, bzw. die Azubis und Studenten auf das Berufsleben vorzubereiten. Denn dort müssen immer wieder Kompetenzen abgefragt und abgerufen werden. Aber es bietet auch einen Anreiz, um sich mit Schülerinnen und Schülern eingehender zu beschäftigen und der Frage nachzugehen: Was für ein Persönlichkeitsprofil entwickelt sich da gerade, unabhängig von Noten für Schulfächer? Ich denke, das wird auch Lehrern ein ganz anderes Bild von den Lernenden vermitteln können. Außerdem kann das Führen des Kompetenz-Tagebuchs die Eigenmotivation zum Lernen fördern, wenn die Auszubildenden merken, dass sie über die eigene Suche nach Aufgaben direkte Weiterentwicklungsmöglichkeiten haben und diese auch dokumentiert werden. So etwas wie „Kritikfähigkeit“ findet sich schließlich sonst in keinem Zeugnis wieder.
Welche Vorteile bietet das Kompetenz-Tagebuch für Lehrer und Schüler?
Die Definition der Kompetenzen ist in der „Ich-Form“ beschrieben. Damit haben die Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit für sich selbst zu erkennen, ob sie hinter dieser Definition stehen oder nicht. Es ist auch genug Raum da, um eigene Definitionen hinzuzufügen. Das ist ein großer Vorteil gegenüber Fachbüchern, in denen Kompetenzen häufig im Fachjargon von Personalfachleuten erklärt werden. Ein weiterer Vorteil liegt in der Verwendung des Tagebuchs über mehrere Jahre. Es müssen nicht in kurzer Zeit Kompetenz für Kompetenz abgearbeitet werden. Man kann stattdessen immer wieder mal das Eine oder Andere ergänzen und damit dokumentieren und festhalten. Der Schüler hat ein Referat gehalten? Super, gleich mal die Präsentationskompetenz, Rhetorik, Kommunikationsfähigkeit usw. festgehalten. Damit bekommen Schüler einen viel engeren Bezug dazu, was sie mit einer Aufgabe über den fachlichen Inhalt hinaus alles lernen. Das ist auch für die Lehrer ein großer Vorteil, weil sie damit den Schülern viel leichter vermitteln können: „Für das Leben, nicht für die Schule wird gelernt“. Es bietet Anreize zu persönlichen Gesprächen und dazu, sich auf eine andere Art und Weise mit den Schülern und ihrer Persönlichkeit zu beschäftigen.
Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach die Kompetenzen in der Berufsbildung? Und Warum?
Eine enorm große Rolle! Sie werden von jedem Ausbildungsbetrieb schon im Vorstellungsgespräch gefordert und die Entwicklung der dualen Berufsausbildung und des Studiums geht immer mehr hin zu einer kompetenzorientierten Ausbildung, in der die Schlüsselqualifikationen Sozialkompetenz, Persönliche Kompetenz und Methodenkompetenz einen immer höheren Stellenwert erhalten. In einigen Berufen müssen sich Azubis bereits anhand von Kompetenzprofilen ihre eigenen Ausbildungsinhalte suchen und strukturieren. Wenn das in der Schule nie vermittelt wurde, ist das für junge Leute sehr schwierig. Häufig wird eben auch schon in Vorstellungsgesprächen für Ausbildungsplätze nach diesen Kompetenzen gefragt und wenn Schülerinnen und Schüler sie noch nicht einmal definieren können, haben sie im Auswahlverfahren das Nachsehen.
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Ihre Autorin

Jutta Mohamed Ali bildete lange Jahre in einem der größten deutschen DAX-Konzerne Auszubildende aus und begleitete dual Studierende. Seit 2016 ist sie selbständig, berät klein- und mittelständische Unternehmen in Ausbildungsfragen und ist so die Schnittstelle zwischen Anforderungen der Wirtschaft und dem, was Schüler an Kompetenzen mitbringen.

Das Kompetenz-Tagebuch

Das Kompetenz-Tagebuch für Schule und Ausbildung ist ein eigenständiges Werkzeug, um den Kompetenzerwerb durch die Schüler/-innen selbstständig zu reflektieren, dokumentieren, bewerten und zu dirigieren.

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