Silke Hubrig: >>Philosophieren mit Kita Kindern<< (Juni 2021)

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„Woher wissen wir, dass das jetzt echt ist, dass wir hier in der Kita sitzen?“ „Kann mein Opa aus dem Himmel jetzt alles beobachten? Auch, wenn ich in der Nase pople?“ „Wo war ich, bevor ich in Mamas Bauch war?“ Kinder machen sich Gedanken über die Welt und stellen Fragen und suchen nach Antworten. Viele Fragen sind philosophisch. Fachkräfte sollten diese aufgreifen und die Neugierde und Kreativität der Kinder nutzen, um sie zum Philosophieren anzuregen.

Kinder stellen philosophische Fragen
Das Vorschulalter ist das Alter der Fragen. Wieso? Weshalb? Warum? Kinder entdecken die Welt, wollen sie verstehen und fragen nach. Manche Fragen sind für Erwachsene leicht zu beantworten oder zumindest wissen sie, wie sie an die richtigen Antworten herankommen. „Woraus bestehen Fischstäbchen?“ Oder „Woher kommt das Wasser aus der Leitung?“ Es gibt aber Fragen, auf die es keine wissenschaftlich fundierten, allgemeingültigen Antworten gibt. Hier geht es meist um existenzielle Themen, beispielsweise: Wo kommen wir her? Wo sind wir, wenn wir tot sind? Was ist Glück? Wer hat die Pflanzen gemacht?  Diese Fragen sind philosophisch. Die Philosophie (wortwörtlich übersetzt „die Liebe zur Weisheit“) hinterfragt die Existenz der Menschen und die Welt. Philosophieren können nicht nur Philosoph*innen, sondern jeder Mensch, der neugierig über sich und die Welt nachdenkt und offen für neue Gedanken ist. Insbesondere Kinder können dieses oftmals besonders gut. Das zeigt sich an der von ihnen sehr oft gestellten Frage „Warum?“ Manchmal kommt die Frage nach jedem Satz – und ab einem Punkt wird es meist philosophisch – nämlich dann, wenn der Erwachsene keine endgültige Antwort mehr weiß. So kann die Ausgangsfrage sein, „Wann gehen wir los?“ und die Endfrage „Und wer hat die Zeit gemacht?“

Aufgreifen, was Kinder bewegt
Die philosophischen Fragen der Kinder sollten in der Kita wahrgenommen, ernst genommen und aufgegriffen werden. Die Fachkraft hat die Möglichkeit, direkt in einen philosophischen Dialog zu treten oder ein Gruppengespräch so zu unterstützen, dass die Kinder ihre Gedanken und Erfahrungen zu einer Frage oder einem Thema austauschen können. Möglich ist auch, die Themen zu sammeln und in einem geplanten Bildungsangebot zu philosophieren. Durch den philosophischen Austausch können neue gedankliche Zusammenhänge entstehen. Statt einer bestimmten Antwort auf die Ausgangsfrage entstehen in der Regel weitere Fragen. Die Kinder hinterfragen (im wahrsten Sinne des Wortes) immer mehr. Sie überprüfen Gedanken. Sie gehen auf die Gedanken anderer Kinder ein. Manchmal werden diese bestätigt, manchmal widerlegt. Die pädagogische Fachkraft erhält hierbei nicht nur einen interessanten Einblick in die Gedankenwelt, sondern auch in die Lebenswelt und das Gefühlsleben der Kinder.

Philosophieren fördert die kindliche Entwicklung
Philosophieren fördert die kognitive Entwicklung der Kinder. Den Kindern werden ihre eigenen Gedanken bewusst und sie nehmen wahr, dass andere Kinder andere Gedanken haben. Das philosophische Gespräch bietet die Chance, dass Kinder zum eigenständigen, kreativen Denken angeregt werden. Sie können üben, Meinungen zu kritisch zu hinterfragen. Zudem haben Kinder die Möglichkeit, neue Perspektiven einzunehmen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Der selbstreflexive Anteil beim Philosophieren fördert auch immer die eigene psychisch – emotionale Entwicklung. Das Hinterfragen kann Unsicherheiten auslösen, die es auszuhalten gilt.
Die Gedanken werden im philosophischen Gespräch geäußert. Die Kinder werden aufgefordert, ihre Gedanken in Sprache auszudrücken. Sie üben, vor einer Gruppe zu sprechen und auch die Beiträge der anderen aufzunehmen. Hier werden viele soziale Fähigkeiten gefördert, wie etwa den oder die andere/n ausreden lassen, bevor man selber etwas sagt. Sich aber auch zu Wort zu melden, wenn andere viel Raum einnehmen. Die Kinder üben einen respektvollen Umgang miteinander, denn jedes Kind darf und soll die eigene Meinung vertreten. Die Kinder haben die Chance zu erfahren, dass Meinungsverschiedenheiten und Konflikte im philosophischen Gespräch bereichernd für alle sein können.

Den Rahmen für philosophische Gespräche schaffen
Prinzipiell können Kinder überall philosophieren. Wenn ein philosophisches Gespräch als Bildungsaktivität von der Fachkraft angeboten wird, sollte dieses in einer Kleingruppe stattfinden. Je nach Entwicklungsstand der Kinder sollten es nicht mehr als 8 Kinder sein. Die philosophierende Gruppe sollte sich in einem ruhigen Raum treffen, frei von ablenkenden Nebengeräuschen und von Durchgangsverkehr anderer Kinder. So können die philosophierenden Kinder sich besser auf ihre eigenen Gedanken und die der anderen konzentrieren. Die Kinder sollten im Stuhlkreis oder in einem Sitzkreis mit Sitzkissen auf dem Boden Platz nehmen. Die pädagogische Fachkraft sollte für eine besondere Atmosphäre sorgen, in der sich alle Kinder wohlfühlen. Nur wer sich wohlfühlt, ist in der Lage, angstfrei seinen Gedanken nachzugehen und diese zu äußern. Hier können beispielsweise eine gedämpfte Beleuchtung, ein Tuch in der Mitte des Kreises mit einer Blume drauf oder eine Duftkerze hilfreich sein.

Das philosophische Gespräch vorbereiten
Die pädagogische Fachkraft sollte herausfiltern, was die Kinder gerade offensichtlich beschäftigt. So hört sie beispielsweise beim Frühstück. „Komm` Paul. Du musst deinen Müsliriegel teilen. Sonst ist das ungerecht.“, während des Spielzeugtages: „Lilli hat so ein Glück. Die hat immer tolles Spielzeug, was sie mitbringen kann.“ oder im Streit zweier Kinder: „Wenn ich nicht mitspielen darf, bist du nicht mehr meine Freundin.“ Die Fachkraft sollte sich vor Beginn des philosophischen Gesprächs mit der anstehenden Frage vertraut machen. Was fällt ihr selber zum Thema ein? Was könnte den Kindern einfallen? Zum Beispiel: Kann man nur eine Freundin oder einen besten Freund haben? Woran erkennt man, einen Freund oder eine Freundin? Wie wichtig ist Freundschaft im Leben? Spielt man nur mit Freunden und Freundinnen zusammen? Darf man auch eine andere Meinung haben als der Freund oder die Freundin? Darf man Freunde und Freundinnen auch einmal richtig doof finden? Wann ist eine Freundschaft zu Ende? Wie merke ich, dass eine Freundschaft beginnt? Sind Freunde und Freundinnen im gleichen Alter? Haben Tiere Freundschaften? Welche Fragen und Impulse können möglicherweise hilfreich sein, um das Gespräch zu intensivieren? Manchmal gibt es Bilderbücher, die den Einstieg in ein philosophisches Gespräch erleichtern.

Einen Rahmen für den philosophischen Gesprächskreis aufstellen
Um den Kindern den philosophischen Austausch zu erleichtern, sollte die Fachkraft einen Rahmen schaffen. Dieser strukturiert das Geschehen und gibt den Kindern Sicherheit im Ablauf des Gesprächskreises.
Der Gesprächskreis sollte stets mit demselben Ritual begonnen und beendet werden. Dieses kann beispielsweise eine kurze Atemübung sein, ein Spruch oder ein Fingerspiel. Zudem sollte es Gesprächsregeln geben, sodass jedes Kind die Chance hat, sich zu Wort zu melden, seinen Beitrag zu äußern und jedem Kind zugehört wird. Hier bietet sich ein Redestein ein. Das Kind, welches etwas sagt, meldet sich und bekommt einen „Handschmeichler“. Ist der Wortbeitrag zu Ende, gibt es den Stein an ein anderes Kind weiter, das etwas sagen möchte. Nur das Kind, das den Stein hat, darf sprechen. Die anderen Kinder hören dem Kind zu, und zwar so lange, bis es den Stein weitergibt. Die pädagogische Fachkraft hat die Aufgabe, darauf zu achten, dass kein Kind bei den Meldungen übergangen wird. Wenn ein Kind sich extrem viel Zeit in Anspruch nimmt, darf es von der Fachkraft gebeten werden, den Wortbeitrag gleich zu beenden. Ansonsten kann es passieren, dass bestimmte Kinder viel erzählen, während andere Kinder nicht zu Wort kommen können. Die Fachkraft hat die Rolle einer Moderatorin und passt auf, dass der Rahmen eingehalten wird. Die Kunst dabei ist, dass sie sich nicht in die Gedankengänge der Kinder einmischt und dann ggf. verfremdet. Vielmehr sollte die Fachkraft die Gedanken der Kinder so stehen lassen, wie sie sind, aber an geeigneter Stelle Bezüge zu anderen Beiträgen herstellen oder diese zusammenfassen. Grundsätzlich hat die Fachkraft die Aufgabe, eine wertschätzende Haltung aller Wortbeiträge gegenüber zu vermitteln. Viel läuft hier über die Körpersprache, Mimik und Gestik. Sie sollte dem sprechenden Kind stets körperlich zugewandt sein, es anschauen, wenn es redet und wenn es passt, zustimmend nicken. Das hat eine Vorbildfunktion für die Kinder und ist oft wirksamer als permanente Ermahnungen: „Hört zu.“ oder „Lasst ihn ausreden!“ Die Fachkraft sollte mit einem Abschlussritual das Ende des Gesprächskreises einläuten, wenn sie merkt, dass die Konzentration der Kinder stark nachlässt. Dieses kann – je nach Tagesform und Bedürfnissen der Kinder – nach zehn Minuten der Fall sein oder auch erst nach einer Stunde.

Die Kinder durch Frageimpulse anregen
Die pädagogische Fachkraft hat die Möglichkeit, die Kinder in ihren Gedankengängen durch Frageimpulse zu unterstützen „Woran erkennst du, dass ein Mensch dein Freund / deine Freundin ist?“ Dafür sind prinzipiell offene Fragen geeignet, auf die die Kinder nicht nur mit ja oder nein antworten können. „Wieso meinst du, dass Kinder nur mit Kindern befreundet sein können?“ „Warum ist dein Bruder nicht dein Freund? Ihr verbringt doch auch viel Zeit miteinander.“ „Wie kommst du darauf, dass dein Hund meint, du wärst sein Freund?“ So können die Kinder dazu angeregt werden, ihre Aussagen zu begründen und zu hinterfragen. Wenn alle Kinder derselben Meinung zu einem Thema sind, kann die pädagogische Fachkraft sich kritisch oder provokant äußern und zum Weiterdenken oder auch zu einem Perspektivwechsel anregen. „Weshalb soll es gut sein, Freunde oder Freundinnen zu haben? Man kann doch auch prima alleine spielen! Außerdem hat man ja auch Eltern.“ oder „Ich streite mich oft mit meinem Freund und wir sind dennoch gut befreundet.“
Da Kinder im Alltag ständig philosophische Fragen präsentieren, sollten diese nicht ungenutzt bleiben. Auch Fachkräfte haben keine allgemeingültigen Antworten auf existenzielle Fragen. Es kann eine spannende Suche nach Antworten beginnen, die Kinder und auch Fachkräfte bereichert.
Quellen: 

• Daurer, Doris: Staunen Zweifeln Betroffensein. Mit Kindern philosophieren. Weinheim und Basel, Beltz Verlag, 1999
• Was ist Philosophieren? - Akademie für Philosophische Bildung und WerteDialog (philosophische-bildung.de), Stand 01.04.2021
• Philosophieren mit Kindern - Eine Schöne Idee für Kinder (kimily.de), Stand 28.03.2021